Nein, dieses Mal ist es nicht anders

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  • Value Insights

Unsere Theorie von systematischem Value

Wir sind schon seit 25 Jahren davon überzeugt, dass Value-Investing die überlegene, langfristige Anlagestrategie ist. Wir vertreten jedoch auch die Meinung, dass kurzfristige Ergebnisse in der Anlagewelt oft nicht die Qualität des Investment Prozesses widerspiegeln. Als Value Investoren glauben wir, dass eine Vielzahl der Marktteilnehmer derzeit den Untergang des Value-Stils irrationalerweise vorhersehen, ohne diese Annahmen durch eine stichhaltige Theorie oder einen soliden Prozess validieren zu können. Dieses Dokument beleuchtet einige Gedanken zur Theorie des Value Investing, warum wir glauben, dass Value weiterhin funktionieren wird und warum kurzfristige Ergebnisse die Gültigkeit der Existenz von Value nicht beeinträchtigen sollten.

Nach einem extrem schwierigen Jahrzehnt für wertorientierte Strategien sehen sich Investoren mit anhaltender Value-Überzeugung vom Markt mit dem Rücken an die Wand gedrängt. Während vermehrt Artikel über das Ende des Value-Stils publiziert wurden, vergrößerte sich zunehmend die Unsicherheit vieler Anleger, da sie den Verlauf des Bullen-Markets beobachteten mussten, ohne selber in marktbeherrschende und sehr gut performende Qualitäts- und Wachstumswerte investiert zu sein.1 Investoren kaufen vermehrt Geschäftsmodelle, in denen das Hauptbeurteilungskriterium, die Generierung freier Cash-Flows im Verhältnis zum Kaufpreis, nicht im Vordergrund steht.

Dieses Phänomen ist nicht zum ersten Mal aufgetreten. Selbst angesichts der immensen Dauer dieses Anti-Value-Zyklus gibt es einen Präzedenzfall für diese Situation, wie O'Shaughnessy Asset Management in seinem jüngsten Artikel "Value is Dead, Long Live Value" dokumentiert.2 Die Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten: Wie kann es möglich sein, Fehleinschätzungen in beliebten Unternehmen zu finden, die jeder für große und solide Unternehmen hält? Welche einzigartigen Fähigkeiten muss man beim Kauf neuer Geschäftsmodelle besitzen, die letztendlich zu mehr Erkenntnissen führen, als der optimistische Markt bereits eingepreist hat? Und wie kann der für einen Vermögenswert gezahlte Preis so weit von den zugrunde liegenden Fundamentaldaten entfernt sein, obwohl jeder weiß, dass in der Zukunft immer eine gewisse Unsicherheit besteht und dass mehr Ereignisse passieren können, als man antizipiert?

Goran Vasiljevic

Geschäftsführer (Sprecher, CIO)

 

Wenn es hart auf hart kommt

Als ehemaliger Leistungssportler ist mir diese Situation nicht neu. Wenn man sich die berühmtesten Tennisspieler aller Zeiten ansieht - Djokovic, Federer, Nadal, Becker - haben sie alle die gleiche Antwort parat, wenn es um den Umgang mit Druck und widrigen Situationen geht. Wenn sie sich in einer schwierigen Phase befinden, konzentrieren sie sich auf den mit ihrem Team entwickelten Prozess, glauben stringent an ihn und tun weiterhin, was sie tun müssen. Sie arbeiten weiter hart und folgen dem Prozess, bis sich die Situation früher oder später zum Besseren wendet. Sie sind sich bewusst, dass der Prozess, für den sie sich entschieden haben, der richtige ist und haben die Disziplin daran festzuhalten.

Als Tennisspieler muss man die harte Wahrheit akzeptieren, dass man, egal wie gut man ist, nicht jedes Spiel gewinnen kann. Oftmals geschieht dies, obwohl man sein Bestes gibt und alle vorhandenen Fähigkeiten besitzt. Man kann einen schlechten Tag haben oder einfach nur Pech. Und obwohl die Gegenseite an einem bestimmten Tag besser sein mag, sagt das nichts darüber aus, dass man selbst langfristig besser oder erfolgreicher ist. Das einzig Wichtige ist, dass der Prozess richtig ist, dass er ständig bewertet, verfolgt und verbessert wird, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

Diese Situation ist auch mit der Kapitalanlage vergleichbar. Wenn es hart auf hart kommt, arbeiten wir weiter an und nach unserem Prozess und glauben an das, was funktioniert. Überzeugung ist ein äußerst wichtiger Faktor, um die notwendige Disziplin für diesen Prozess aufrechtzuerhalten. Niemand kann mit Sicherheit wissen, was morgen passieren wird - aber man kann sich bewusst sein, woran man grundsätzlich glaubt und wie man auf eine Reihe von Ergebnissen reagieren sollte. Ähnlich wie beim Sport können sich Situationen drastisch verändern - so dass die Gewinner von heute die Verlierer von morgen werden oder umgekehrt.

Der Prozess ist entscheidend

Niemand weiß, was genau in Zukunft passieren wird. Alles, was wir haben, sind die zum Zeitpunkt der Entscheidung verfügbaren Informationen, mit denen wir die Verteilung der erwarteten Ergebnisse und deren Wahrscheinlichkeiten abschätzen können. Das Beste, was wir anstreben können, ist, diese Bandbreite von Szenarien richtig zu identifizieren. Bei der Multiplikation der Wahrscheinlichkeiten mit ihren jeweiligen Barwerten leiten wir den Erwartungswert für jede Entscheidung ab, was somit die Grundlage der Entscheidungsfindung ist.

“Es mag morgen regnen, oder auch nicht, aber nichts, was morgen passiert, wird dir sagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit von Regen heute war.” – Howard Marks

Die Ergebnisse des Prozesses sind natürlich volatil - jede Entscheidung beinhaltet Wahrscheinlichkeiten, und selbst eine scheinbar sichere Wette mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 90% führt jedes zehnte Mal zum Misserfolg. Auf der anderen Seite gibt es viele "schlechte Wetten", die man eingehen kann. Die Lotterie wäre ein Beispiel dafür - die Beteiligung daran ist eine negative Erwartungswertentscheidung. Dennoch haben einige Personen Glück. Das macht die ursprüngliche Entscheidung nicht besser - in Abbildung 1 beschrieben als "Glück gehabt".

Abbildung 1: Überblick über die Prozess- und Ergebnisauswertung

Quelle: Russo, E. und Schoemaker, P. “Winning Decisions”

In seinem Buch "Theory of Poker" fasst David Sklansky dies recht gut zusammen:

"Jedes Mal, wenn Sie eine Wette eingehen, wo die Quoten zu Ihren Gunsten sind, haben Sie etwas mit dieser Wette verdient, egal ob Sie die Wette tatsächlich gewinnen oder verlieren. Umgekehrt, wenn Sie eine Wette abschließen, wo die Quoten nicht zu Ihren Gunsten sind, haben Sie etwas verloren, egal ob Sie die Wette tatsächlich gewinnen oder verlieren."3

Diese Idee ist fundamental für den Anlageprozess. Investoren müssen ständig Entscheidungen treffen, mit der Unsicherheit als allgegenwärtiges Element, für die sie tagtäglich beurteilt werden.

Damit ein Investor in einem probabilistischen Umfeld erfolgreich sein kann, muss der Prozess nach der erwarteten Wertmaximierung strikt eingehalten werden, egal wie schwierig er kurzfristig auch sein mag. Der Investor muss dies akzeptieren und diszipliniert bleiben. Davon abzuweichen, wenn der Druck steigt, ist eine nahezu sichere Niederlage für einen guten Prozess. Der zugrunde liegende Prozess muss weiter entwickelt, validiert und verifiziert sein und auf einer soliden wirtschaftlichen Argumentation beruhen. Er ist der Treiber für eine langfristige, erfolgreiche Leistung.

Ein Problem, mit dem Investoren konfrontiert sind, ist das so genannte "Paradoxon der Kompetenz".4 Man kann Kenntnisse erwerben, die besten Möglichkeiten finden und einem etablierten, soliden Prozess folgen. Aber bei Kapitalanlagen ist man in diesem Spiel nicht allein und nicht jeder kann den Markt schlagen. Auch die anderen Marktteilnehmer suchen mit Hochdruck nach Renditen. Theorien, Forschung, Anlagetechniken werden ständig verfeinert und verbessert, und das allgemeine Kompetenzniveau nimmt zu. Das Paradoxon der Kompetenz besagt, dass eine Verbesserung der Fertigkeiten nicht unbedingt die Auswirkungen des Glücks minimieren wird. Ganz im Gegenteil: Es kommt auf die relative Fertigkeit an. Wenn die Verteilung der Fertigkeiten hoch ist, hat die Fertigkeit einen größeren Einfluss. Wenn ein Kompetenzbereich wettbewerbsfähig ist, sollten zwar auf lange Sicht noch marginale Qualifikationsvorteile ausschlaggebend wirken - aber Glück wird eine größere Rolle für die Ergebnisse spielen als vielleicht damals, als Aktien noch als langweilig galten. Umso wichtiger ist es, die eigenen Fähigkeiten zu verfeinern und sich sehr präzise an den Prozess zu halten - Fehler sind nahezu eine Garantie für das Scheitern, während der Erfolg selbst mit erheblichem Aufwand nicht garantiert ist.

Warum Value funktioniert – eine Geschichte von Risiko und Verhalten

Wir haben die Notwendigkeit eines systematischen Prozesses dargestellt - aber warum sollte Value überhaupt der beste Stil sein und warum streben wir in unserem Prozess weiterhin nach Value?

In der akademischen und empirischen Forschung sind in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten zwei Lager entstanden. Die große Debatte geht nicht um die Frage, OB Value funktioniert - obwohl die jüngste uninspirierende Performance auch diese Frage aufgeworfen hat (jedoch ist der Beobachtungszeitraum viel zu kurz und wir sehen keinen Hinweis darauf, dass sich die Grundlagen der Wirtschaftstheorie maßgeblich verändert haben). Die große Debatte handelt davon, WARUM Value funktionieren sollte. Das erste Lager, nennen wir es das Fama-French Lager, ist der Ansicht, dass sich die Wertentwicklung aus Risiken ableitet, die kompensiert werden müssen.5 Das zweite Lager glaubt an Verhaltensfehler, Heuristiken und Verzerrungen, die die Grundlage für eine langfristig bessere Wertentwicklung bilden. Sie glauben, dass aktuelle Ereignisse zu weit in die Zukunft extrapoliert werden und aufgrund der zugrunde liegenden Unsicherheit zu sehr zu positiven und negativen Extremen tendieren. Da wir emotionale Wesen sind, kann eine solche Unsicherheit zu irrationalen Entscheidungen führen, die sich negativ auf die Vermögensbildung auswirken können.6

Wir von Lingohr & Partner glauben an eine Kombination aus beiden Faktoren. Aus dem Lager Fama-French gibt es mehr - zumindest empfundene - Unsicherheiten bei Value-Aktien. Im Interesse dieser Ausarbeitung und in Übereinstimmung mit der Risikoeinschätzung des Marktes werden wir diverse Unsicherheiten, Volatilität und andere Risikoarten als Risiken zusammenfassen. Und es gibt eine Vielzahl von ihnen - Volatilität (oder hohe Betas), Geschäftsrisiko, Verschuldung, Bewertungsrisiko, Durations- oder Konjunkturrisiko. Diese Unsicherheiten führen zu Unbehagen, was wiederum zu irrationalem Verhalten führt - was erneut Unsicherheit und Druck erhöht - und der Zyklus geht weiter. Darüber hinaus verstärkt das Agency Risk diesen Druck weiter.

Abbildung 2: Risiko und Ertrag

Quelle: Lingohr & Partner

Der Markt als Ganzes ist davon betroffen. In bestimmten Phasen wird sich der Markt sehr stark auf einige Risiken konzentrieren, nur um andere Risiken auszulassen, die nicht im aktuellen Fokus stehen oder gegen den Trend gehen. Im Moment scheint es beispielsweise so, als ob das Geschäftsrisiko im Hinblick auf Disruptoren vom Markt hoch priorisiert erscheint, während das Bewertungsrisiko aus überhöhten Preisen im Verhältnis zu Fundamentaldaten scheinbar ignoriert wird.

Nehmen wir zum Beispiel an, dass Sie eine Outperformance erzielen wollen, aber nur zwei Unternehmen haben, in die Sie investieren können. Eins davon ist Amazon und das andere ist Macy's. Welches dieser Unternehmen scheint risikoreicher zu sein, und welche Aktie sollte empirisch folglich die höchste Rendite bringen? Das Unternehmen mit dem höchsten Wachstum und Beliebtheitsgrad oder das Unternehmen mit einem höheren Maß an Volatilität, Zyklizität und Geschäftsrisiko? Theoretisch sollten die Investoren von Macy‘s für das zusätzliche Risiko, das sie eingehen, entschädigt werden. Diese Risiken - Geschäftsrisiko, Konjunkturzyklizität und allgemeine Unsicherheit - sind in vielen der heutigen Value-Aktien zu erkennen. Diese "realen" Risiken führen zu Agency Risk und Verhaltensfehlern, die vom zweiten Lager identifiziert werden. Je mehr Unsicherheit ein Anleger hat, desto mehr Druck entsteht. Für langfristige Investoren sollte die kurzfristige Wirkung nicht so stark sein. Hier kommt allerdings das psychologische Phänomen "Kurzsichtige Verlustaversion" ins Spiel. Es beschreibt einen extremen Fokus auf die kurzfristige Aktienkursentwicklung, der zu Überreaktionen auf die jüngsten Verluste führt, auf Kosten der langfristigen Performance. Dies ist auch empirisch belegt: Bernatzi und Thaler zeigen beispielsweise, dass Investoren, die ihre Portfolios und die Wertschwankungen regelmäßig analysieren, implizit niedrigere Renditen akzeptieren als Investoren, die die Ergebnisse seltener bewerten.7 Der Grund dafür ist, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Verlust zu beobachten, viel höher ist, wenn Investoren ihr Portfolio in kürzeren Abständen betrachten.

Dies wird von Joel Greenblatt in seinem jüngsten Gespräch mit Richard Pzena gut beschrieben: „Der renditestärkste Investmentfonds der 2000er Jahre verdiente tatsächlich über 18% pro Jahr über ein Jahrzehnt, in dem die Durchschnittswerte des Gesamtmarktes im Wesentlichen unverändert blieben. Aufgrund der Kapitalbewegungen von Anlegern, die in Zeiten, in denen der Fonds eine Weile hinter der Wertentwicklung zurückgeblieben war, aus dem Fonds ausstiegen, wandelte der durchschnittliche Anleger (kapitalgewichtet) diesen jährlichen Gewinn von 18% in einen Verlust von 11% pro Jahr im gleichen 10-Jahres-Zeitraum um."8

Da die Anleger ihre Verluste spüren, geraten auch einige Investmentmanager zunehmend unter Druck, was das Agency Risk erhöht. Der Druck von Markt und Investoren führt zu einem emotionaleren Verhalten, trübt das Urteilsvermögen und verursacht Fehler - was letztlich zu Fehlbewertungen führt. Zu diesem Thema wurden zahlreiche Studien und Bücher veröffentlicht, mit Beispielen für Verhaltensrisiken, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die Folgenden:

  • Adjustment and anchoring bias
  • Availability bias
  • Base-rate neglect
  • Confirmation bias
  • Fear of missing out (FOMO)
  • Groupthink
  • Halo effect
  • Herding & peer pressure
  • Mean reversion underestimation / confusion
  • Myopic loss aversion
  • Outcome bias
  • Representativeness bias
  • Social proof
  • Sunk cost
  • Survivorship bias

Value erzielt seine überdurchschnittlichen, langfristigen Erträge aus einer Kombination von Unsicherheiten, die sich aus verschiedenen Risikoarten, Emotionen und Agency Risk ergeben. All diese Faktoren sind aus unserer Sicht miteinander verflochten und wir glauben nicht, dass man sich strikt in einem Lager der Value-Debatte befinden muss. Die Märkte sind dynamisch und die Dinge ändern sich, aber eines wird sich nicht ändern: Man kann keine Value-Outperformance erwarten, ohne das gleichzeitige Vorhandensein von Unbehagen. Ein sogenanntes „Free Lunch“ wird auf dem Markt nicht angeboten und die eigentliche Wertquelle liegt im Unbehagen, das andere angesichts der Unsicherheit empfinden und deswegen davon Abstand nehmen. Allerdings ist in Wirklichkeit alles, was Investitionen betrifft, mit Unsicherheit behaftet. Weniger Ausrechenbarkeit (Visibilität) und eine breitere Streuung der Ergebnisse führen zu mehr Unsicherheit. Dies wiederum führt zu mehr wahrgenommenen Risiken, was das Agency Risk vergrößert und die emotionalen Prozesse erhöht. Dies funktioniert auch umgekehrt: Je weniger Risiko wahrgenommen wird, desto eher ist ein Investor bereit, ein hohes Multiple zu zahlen und mehr Bewertungsrisiko einzugehen.

Abbildung 3: Risko und Ertrag

Quelle: Oaktree Capital Management L.P.

Das Risiko-Rendite-Verhältnis kann wie in Abbildung 3 dargestellt werden. Je höher die Visibilität eines Unternehmens und je geringer die fundamentale Varianz der Ergebnisse ist, desto geringer ist die Renditeverteilung. Je mehr man sich auf der Risikoachse nach rechts bewegt, desto höher ist die Verteilung der Ergebnisse, aber desto größer sind auch die Renditeerwartungen im Durchschnitt. So sollte das Verhältnis zwischen Risiko und Ertrag funktionieren. Das bedeutet auch, dass gerade, weil etwas riskanter ist und eine höhere Rendite erwartet wird, diese nicht in jedem Fall auch eintritt - sonst gäbe es überhaupt kein Risiko!

Abbildung 4 stellt die langfristigen Renditen denjenigen der letzten 8 Jahre gegenüber. Während Value langfristig als riskanter wahrgenommen wurde, brachte es zugleich auch deutlich höhere Renditen. Gleichzeitig war der Kauf beliebter "Glamour"-Aktien eine vermeintlich sicherere Option, führte aber langfristig zu einer geringeren Performance. Die letzten Jahre standen auf dem Kopf. Aus einer Vielzahl von Gründen, die wir in einer zukünftigen Ausarbeitung quantitativ näher erläutern werden, haben sich große, teure Aktien besser entwickelt. Anstatt dass Investoren ihre teuren Anlagen aufgeben, wirkte die Performance der Vergangenheit ironischerweise wie ein Magnet und fusionierte mit der wahrgenommenen Geschäftsstabilität, was die Bewertungen auf ein immer höheres Niveau brachte. Das Gegenteil geschah, als die Aktien im Value-Segment immer billiger wurden und die Anleger Angst hatten, dass die schlechte Performance der Vergangenheit unabhängig von fundamentalen Entwicklungen fortbesteht. Entsprechend wurden diese Aktien zu “Fire-Sale-Preisen“ verkauft und sind somit ein gutes Beispiel für Verhaltensrisiken. Dies hat zu einer Rekorddispersion von Bewertungen geführt. Laut einer aktuellen Studie von Pzena haben teure Aktien derzeit durchschnittlich ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von über 80x, während Value-Aktien nur auf 8x handeln.9 Der Markt rechnet mit einem extremen, weiteren Wachstum bei teuren Titeln und einem anhaltenden negativen Wachstum bei Value-Aktien. Anomalien auf diesen Niveaus sind selten und verzerren die Wahrscheinlichkeit einer Outperformance (blaue Linie in der rechten Grafik) zugunsten von Wertanlagen stark.

Abbildung 4: Wert und Glamour - Erwartung vs. Ergebnis

Quelle: Lingohr & Partner

Dies kann auch empirisch getestet werden. Wenn wir die Standardabweichung der Renditen als Maß für Risiko nutzt, können wir eine Tendenz beobachten, für die Übernahme von Risiken in der Vergangenheit belohnt zu werden, wie in Abbildung 5 dargestellt. Die Ergebnisse entsprechen weitgehend den Erwartungen: Je volatiler ein Anlagestil ist, desto mehr wird ein Anleger für die Übernahme dieses Risikos entschädigt.

Abbildung 5: Risiko und Ertrag - Beobachtete Renditen und Standardabweichungen für ausgewählte Anlageklassen, 2001-2008

Quelle: MSCI Index Data, Lingohr & Partner

Seit 2011 hat sich diese Beziehung umgekehrt:

Abbildung 6: Risiko und Ertrag - Beobachtete Renditen und Standardabweichungen für ausgewählte Anlageklassen, 2011-2008

Quelle: MSCI Index Data, Lingohr & Partner

Zusammengefasst halten wir fest, dass ein Anleger, um eine Outperformance zu erzielen, mehr tatsächliche oder wahrgenommene Risiken eingehen muss. In den letzten zehn Jahren übertrafen die Anlagestile mit dem geringsten Risiko den Markt. Was wir sehen, ist, dass Qualität eine geringere Volatilität aufweist, was angesichts des geringeren, wahrgenommenen Geschäftsrisikos nachvollziehbar ist. Dennoch ist es dem Qualitäts-Stil gelungen, die Performance zu übertreffen und die Preise in sehr hohen Zukunftserwartungen zu halten. Dies steht im krassen Gegensatz zu Value, zu dem auch Unternehmen mit größerer Unsicherheit und Geschäftsrisiken gehören. Der Value-Stil hat sich unterdurchschnittlich entwickelt und wird mittlerweile auf Rezessionsebene gehandelt. Die Anleger wurden für das Eingehen zusätzlicher Risiken negativ entschädigt! Wie kann man durch den Kauf der am wenigsten volatilen Anlageinstrumente außerordentliche Renditen erzielen, ohne Unbehagen oder Druck zu verspüren? Wie ist es möglich, den Markt mit den risikoärmsten Anlagestilen zu schlagen? Ein solcher Trend widerspricht jeder wirtschaftlichen Intuition. Aber natürlich treten Ausreißer auf - und der Markt kann für einen bestimmten Zeitraum irrational werden. Selbst eine Wette mit einer Erfolgswahrscheinlichkeit von 90% wird in 10% der Fälle falsch sein. Der Gewinn oder Verlust einer Wette ändert jedoch nichts an den Wahrscheinlichkeiten - der Prozess bestimmt langfristig den Gewinner. Auch wenn es Irrationalität gibt, funktioniert eine Rückkehr zu den Fundamentaldaten der Unternehmen wie die Schwerkraft. Der Markt kann luftige Höhen erreichen, aber er wird auch irgendwann fallen. Und je höher und extremer der Sprung nach oben, desto härter kann der Sturz sein. Der Markt kann und sollte dauerhaft an Wert gewinnen - aber das liegt nicht am Sprung selber, sondern am wachsenden Fundament, an den steigenden realen Wirtschaftsdaten.

Der Markt ist emotional aufgeladen – dies ist keine Überraschung nach der globalen Finanzkrise und dem bisher unbekannten, niedrigem Zinsniveau. Multiples sind ein hervorragender Indikator für die Bewertung und erklären eine Reihe von Erwartungen in nur einer Zahl. Hohe Multiples bedeuten hohe Erwartungen - das Gegenteil gilt für niedrige Multiples. Heute werden Qualitäts- und Wachstumskörbe mit extrem hohen Erwartungen gehandelt, während der Value-Bereich mit alarmierend niedrigen Multiples bewertet wird. Diese Situationen sind das Ergebnis von Perioden faktorbasierter Under- und Outperformance, wobei in diesem Fall Value underperformte. Basierend auf grundlegenden Konzepten wie Bewertungen, die langfristig den Aktienkurs bestimmen, empirischen und akademischen Studien sowie einer über 25-jährigen Erfahrung im Bereich Value-Investing hat Lingohr & Partner einen Prozess zum Kauf von Aktien mit einer überdurchschnittlichen Renditeerwartung etabliert. In der jüngsten Vergangenheit hat uns dies jedoch nicht die erwartete Rendite gebracht. Da sich andere Investoren von Value-Investments aus verhaltensbedingten - nicht fundamentalen - Gründen trennen, steigen die Bewertungsdispersionen weiter an. Schlechte Performance-Entwicklungen führen zu einer kontinuierlichen Steigerung des emotionalen Verhaltens.

Ausblick

Wo stehen wir jetzt? Wir sind der Meinung, dass die derzeitige Underperformance die Anleger dazu veranlasst, das Ergebnis gegenüber dem Prozess übermäßig zu betonen. Dies wiederum setzt die Erwartungen an den Value-Stil auf den Tiefpunkt aller Zeiten. Von hier aus beobachten wir zwei wichtige Faktoren: Erstens wird die Bewertung einer Anlage zum Investitionszeitpunkt die Rendite stark beeinflussen. Dies gilt auch für Faktorgruppen, bei denen diese Beziehung eine erhebliche Aussagekraft für zukünftige Renditen hat. Zweitens glauben wir, dass der Markt aufgrund von Verhaltenseinschränkungen (Verlustaversion) angesichts der enttäuschenden Ergebnisse der letzten Jahre irrational handelt. In diesem Fall signalisiert eine Kontraktion von Multiples niedrigere Markt-Erwartungen, aber steigert bei Langfristinvestoren die erwartete Rendite signifikant.

Dies festigt unseren Optimismus für das Value-Investing. Auf dem derzeitigen Niveau sehen wir stark gestiegene Renditeerwartungen, nicht nur von den "natürlichen" Werttreibern, sondern auch von dem Potenzial an Bewertungskonvergenz, das sich aus dem übermäßigen Ausverkauf in den letzten Jahren ergibt. Der Qualitätsbereich hingegen signalisiert extrem hohe Erwartungen, wie sie sich an den Preisen ablesen lassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Markt die Wertentwicklung der Vergangenheit erneut zu weit in die Zukunft extrapoliert, Multiples auf Allzeithöchstständen hievt und den Weg für eine Renaissance des Value-Segments ebnet.

Abschließend möchte ich festhalten, dass wir, während Value unter Druck steht, keinen Grund sehen, warum Value-Investing nicht mehr funktionieren soll. Im Gegenteil: Wir sind sehr optimistisch. Wir sehen mehr Irrationalität und Verhaltensfehler als noch vor wenigen Jahren. Empirisch lässt sich dies an extremen Preisdispersionen zwischen Unternehmen und dem negativen Verhältnis zwischen Fundamentaldaten und Preisbewegung ablesen. So wie es damals in meinen Tagen als Leistungssportler war, ist der Prozess gut definiert und kurzfristige Ergebnisse werden nicht die Grundlage dafür sein, wie die Saison letztendlich ausgeht. Die Märkte leben sich aus, aber unsere Überzeugung ermöglicht es uns, mit einem strikt disziplinierten Vorgehen fortzufahren. Wir werden weiterhin hart arbeiten, unsere Forschung betreiben und unsere Prozesse durchsetzen, bis sich die Situation wieder normalisiert hat.

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Quellen

1 CNBC: “Is value investing dead? It might be and here’s what killed it”, Stand: 08.08.2019.
2 Meredith, C.– O’Shaughnessey Asset Management: “Value Is Dead, Long Live Value”, Stand: 08.08.2019.
3 Sklansky, D. "The Theory of Poker." Two Plus Two Publishing LLC (2007): p. 10.
4 Mauboussin, M. und Callahan, D. “Alpha and the Paradox of Skill.” Credit Suisse Global Financial Strategies (2013).
5 Fama, E., und French, K. "The Cross-Section of Expected Stock Returns." The Journal of Finance 47, no. 2 (1992): 427-465.
6 Lakonishok, J., Shleifer, A. und Vishny, R. “Contrarian Investment, Extrapolation, and Risk.” The Journal of Finance, Vol. XLIX, No. 5 (1994): 1541-1578 / Lakonishok, J., Shleifer, A. und Vishny, R. “Good news for value stocks: Further evidence on market efficiency.” NBER Working Paper No. 5311 (1995) / Tversky, A. und Kahnemann, D. “Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases.” Science 185, no. 4157 (1974): 1124-1131.
7 Bernatzi, Shlomo und Thaler, Richard H. “Myopic Loss Aversion and the Equity Premium Puzzle.” The Quarterly Journal of Economics, Vol. 110 No. 1, (1995): 73-92.
8 Joel Greenblatt - Keynote Presentation: Ben Graham VI., Stand: 08.08.2019.
9 Pszena Investment Management. “Second Quarter 2019 Commentary” (2019). Niedrigstes und höchstes Quintil sortiert nach KGV werden hier verglichen.

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